DBR: IPREG - Gegen den Willen von Betroffenen. Zum Referentenentwurf des Intensiv- und Rehabilitationsstärkungsgesetzes

Berlin, 22.01.2020

Der Deutsche Behindertenrat (DBR) begrüßt, dass der Entwurf des Gesetz zur Stärkung der intensivpflegerischen Versorgung und Rehabilitation in der GKV (IPReG) nicht, wie ursprünglich geplant, heute ins Bundeskabinett eingebracht wurde. Versicherte sollten dem Gesetz nach nur noch dann intensivpflegerische Versorgung in den eigenen vier Wänden oder bei ihren Familien erhalten, wenn die Krankenkasse dieses nach einer Begutachtung des Medizinischen Dienstes positiv entscheidet.

Nach massiven Protesten der Verbände war auch im zweiten Anlauf das Bundesgesundheitsministerium mit einem Gesetzentwurf zur Intensivpflege gescheitert.

Dazu hatten sich der DBR und andere Verbände im Vorfeld auf eine gemeinsame Erklärung geeinigt. "Es darf nicht im Ermessen des Medizinischen Dienstes oder der Krankenkassen liegen, gegen den Willen des Betroffenen über den Wohnort zu entscheiden", so Verena Bentele, Sprecherratsvorsitzende des Deutschen Behindertenrats und Präsidentin des Sozialverbands VdK Deutschland.

Mit einem neuen Aufschlag im Kabinett ist nach unseren Informationen bereits am 29. Januar zu rechnen. "Wir erwarten, dass der nächste Entwurf deutlich verbessert und das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen nicht eingeschränkt wird. Das Menschenrecht auf freie Wahl von Wohnort und Wohnform muss ohne Wenn und Aber realisiert werden" betont Verena Bentele. Außerdem fordert der DBR vom Bundesgesundheitsministerium die Einhaltung von Fristen und Beteiligungsstandards, damit die Verbände behinderter Menschen in angemessener Zeit auf den Gesetzentwurf reagieren können und nicht erst im Nachhinein über einen neuen Gesetzentwurf informiert werden.





Wir Verbände begrüßen grundsätzlich die Zielrichtung des Gesetzes zur Stärkung von
intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen
Krankenversicherung (IPREG), mit der die Versorgungsqualität im Bereich von außerklinischer
Intensivpflege gestärkt sowie Beatmungsentwöhnung gefördert wird.

Es ist jedoch völlig unverständlich, weshalb künftig der Medizinische Dienst bzw. die Krankenkassen
entscheiden sollen, ob ein Betroffener in der eigenen Häuslichkeit verbleiben darf oder in einer
stationären Pflegeeinrichtung versorgt wird.


Dies ist aus mehreren Gründen entschieden abzulehnen:

  • Alle Menschen haben die gleichen Rechte, unabhängig ihres Gesundheitszustandes und einer
Behinderung.

  • Das Wunsch- und Wahlrecht der Betroffenen hat bei der Entscheidung bezüglich des
Versorgungsortes höchste Priorität.

  • Finanzielle Interessen dürfen nicht über den persönlichen Wünschen der Betroffenen stehen.
  • Es darf nicht im Ermessen des Medizinischen Dienstes oder der Krankenkassen liegen, gegen
den Willen des Betroffenen über den Wohnort zu entscheiden.

  • Eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts verstößt gegen die Vorschriften zur Teilhabe
der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 3 Buchst. c UN-BRK, Art. 19 Buchst. A UN-BRK, Art.
26 Abs. 1 UN-BRK), des Grundgesetzes (Art. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 11 GG) sowie gegen die
entsprechenden Vorgaben des SGB V (§ 2a SGB V), des SGB IX (§ 1 SGB IX) und den im SGB V und
SGB XII verankerten Grundsatz "ambulant vor stationär" (§ 37 Abs. 1 und 2 SGB V, § 13 SGB XII).

  • Es ist im Hinblick auf den individuellen Gesundheitszustand und den damit verbundenen
Einschränkungen in der Bewältigung des Alltags insbesondere für intensiv-medizinisch betreute
Patientinnen und Patienten wichtig, über die Wahl des Lebensmittelpunktes selbst bestimmen
zu können, unabhängig ihres Alters.

Menschen mit einem intensivmedizinischen Pflegebedarf, wie z. B. invasiver Beatmung, sind bereits
aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation stark in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Diesen
Betroffenen nun auch noch ihr freies Wunsch- und Wahlrecht in Bezug auf ihren Lebensmittelpunkt
zu nehmen, bedeutet für die Betroffenen einen tiefgreifenden persönlichen Einschnitt in ihre
Selbstbestimmung und nimmt ihnen jegliche Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe. Es ist
damit zu rechnen, dass die Umsetzung dieser Reform bei den Betroffenen und deren Angehörigen
zu psychischen Traumatisierungen, Depressivität oder gar Suizidalität führen wird.

Wir fordern deshalb nachdrücklich, den Referentenentwurf zum IPREG zu überarbeiten, und das
einschränkende Kriterium der Angemessenheit in § 37c Abs. 2 SGB V sowie den Verweis auf § 104
SGB IX zu streichen.

Ansprechpartner*in:
Anne Linneweber, Der Paritätische Gesamtverband

Kontakt:
selbsthilfe@paritaet.org
030 24 636-321
Olaf Christen, VdK
Kontakt:
christen@vdk.de
030 9210580-306

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