Arbeit ohne konkrete Zielvorstellung nicht sinnvoll

20.9.2007 - Nach der überraschenden Einstellung des Arbeitskreises zur Eingliederungshilfe bei der Behindertenbeauftragten der Bundesregierung machte die Koordinatorin des Arbeitsausschusses des Deutschen Behindertenrates, Barbara Vieweg, im Gespräch mit den kobinet-nachrichten deutlich, dass für den Deutschen Behindertenrat eine Mitarbeit in einem solchen Arbeitskreis ohne konkrete und für behinderte Menschen zukunftsweisende Zielvorstellung keinen Sinn macht.

kobinet-nachrichten: Frau Vieweg, die Meldung über die Einstellung des Arbeitskreises zur Eingliederungshilfe, den die Beauftragte der Bundesregierung erst Ende August eingerichtet hatte, kam für viele überraschend. Auch für Sie?

Barbara Vieweg: Nicht ganz, denn der Deutsche Behindertenrat (das Aktionsbündnis der Behindertenverbände) hatte vor der gestrigen Sitzung des Arbeitskreises bereits einige Fragen zur Ausrichtung der Beratungen geäußert. In einem Brief an die Behindertenbeauftragte, Karin Evers-Meyer, hatten wir vom Deutschen Behindertenrat bereits deutlich gemacht, dass wir gegenwärtig nicht erkennen können, dass die Reformvorstellungen der Bundesregierung über die Einbindung der Eingliederungshilfe im SGB XII hinausgehen. Für die weitere Mitarbeit im Arbeitskreis haben wir daher eine klare Perspektive, ein politisches Signal, gefordert, dass sich unsere Mitarbeit in diesem Gremium auch wirklich lohnt und die Bereitschaft besteht, eine Perspektive für die Eingliederungshilfe über den Rahmen des SGB XII hinaus zu beraten.

kobinet-nachrichten: Was ist an der Einbindung der Eingliederungshilfe im SGB XII so schlimm?

Barbara Vieweg: Ein Beibehalten der Ansiedlung im SGB XII widerspricht nach Ansicht der Verbände dem Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik von der Fürsorge zur Selbstbestimmung. Behinderte Menschen werden damit sozusagen auch weiterhin zur Abdeckung ihrer Hilfen in die Sozialhilfe gedrängt und damit auch weiterhin mit den entsprechenden Einkommensgrenzen konfrontiert. Das hat mit einer modernen Behindertenpolitik, die die Teilhabe und Selbstbestimmung behinderter Menschen sicherstellt, nicht viel zu tun.

kobinet-nachrichten: Und das von Ihnen erwartete politische Signal für eine umfassendere Reform der Eingliederungshilfe ist nicht gekommen?

Barbara Vieweg: Nein und das fanden wir auch besonders schade. Wir hatten ja nicht per se vor, den Arbeitskreis als solchen zu sprengen, sondern wir wollten erreichen, dass die Bundesregierung sich für eine Auseinandersetzung über eine wirklich umfassende Reform der Eingliederungshilfe offen zeigt. Bei der gestrigen Sitzung wurde dann aber sehr schnell deutlich, dass hierfür der Koalitionsvertrag anscheinend keinen Rahmen bietet und somit keine weitere Diskussionsgrundlage geschaffen ist. Hinzu kommt, dass die Gefahr groß ist, dass die Reform der Eingliederungshilfe als reines Sparmodell behandelt wird und dafür stehen wir vom Deutschen Behindertenrat natürlich nicht zur Verfügung.

kobinet-nachrichten: Sind damit die Schotten für weitere Gespräche zur Eingliederungshilfe dicht?

Barbara Vieweg: Nein keineswegs. Der Arbeitskreis wurde nun zwar aufgelöst, für weitere zielführende Gespräche stehen wir aber selbstverständlich zur Verfügung. Und wenn konkrete Gesetzesvorschläge auf den Tisch kommen, werden wir von den Verbänden, die den Deutschen Behindertenrat tragen, selbstverständlich Position beziehen und auch gemeinsam Antworten erarbeiten. Wir wollen nur keine Einbindung in ein Gremium, das u.E. die für behinderte Menschen wichtigen Aspekte ausklammert. Und das hatten wir uns von der großen Koalition, die ja angetreten ist, um die Probleme unserer Gesellschaft grundsätzlicher anzupacken, gerade nicht erwartet. Die Eingliederungshilfe ist für behinderte Menschen zu wichtig, um sie kleinteilig zu betrachten und die Chance für eine grundlegende Reform zu vergeuden. Hierfür hat der Vorsitzende des Sprecherrates des Deutschen Behindertenrates, Horst Frehe, sogar extra ein umfassendes Eckpunktepapier für die Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe zur sozialen Teilhabe entwickelt, das wir gerne mit allen Interessierten diskutieren. Ebenso haben die meisten Verbände sehr gute und wichtige Stellungnahmen zum Reformbedarf der Eingliederungshilfe erarbeitet.

kobinet-nachrichten: Letztes Jahr tagte ja ein ähnlicher Arbeitskreis zur Reform der Pflegeversicherung, der eine umfassende Stellungnahme erarbeitet hat. Was ist daraus eigentlich geworden?

Barbara Vieweg: Unter Leitung des Büros der Behindertenbeauftragen haben die Verbände und Wohlfahrtsorganisationen ein sehr wichtiges Papier zur Teilhabeorientierten Pflege erarbeitet. Leider war es bisher nicht möglich, diese wichtigen Eckpunkte in das laufende Reformvorhaben Pflegeversicherung einzubringen. Aus diesem Grund wollten wir für die Bemühungen zur Eingliederungshilfe auch konkretere Zielvorstellungen, da die Mitarbeit in diesen Gremien sehr viel - besonders auch ehrenamtliche - Arbeit bindet.

Das Gespräch mit Barbara Vieweg führte kobinet-Redakteur Franz Schmahl.

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