Behindertenpolitische Forderungen des Deutschen Behindertenrates 2010

Stand 03.12.2010

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Zehn Schwerpunktforderungen des Deutschen Behindertenrates zur Fortentwicklung der Behindertenpolitik anlässlich des Welttages der Menschen mit Behinderungen am 3. Dezember 2010

Anlässlich des internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen appellieren die im Deutschen Behindertenrat (DBR) zusammengeschlossenen Behindertenverbände und Selbsthilfeorganisationen an die Bundesregierung, nunmehr zügig einen Nationalen Aktionsplan (NAP) zur vollständigen Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (BRK) zu verabschieden. Hierbei müssen die vom DBR bereits in der ersten Hälfte des Jahres 2010 vorgelegten Forderungen und Vorschläge umfassend berücksichtigt werden. Mit Blick auf gegenwärtige politische Handlungserfordernisse unterbreitet der DBR u.a. die nachfolgenden Schwerpunktforderungen.

1. Behindertenpolitik ist Menschenrechtspolitik. Alle Organe staatlichen Handelns sind gemäß der BRK nunmehr aufgefordert, sämtliche Planungen, Maßnahmen und Politiken auf die Relevanz für Menschen mit Behinderungen zu überprüfen.
Die Belange behinderter Frauen sind dabei besonders zu berücksichtigen. Gemäß dem Grundsatz "Nichts über uns ohne uns!" sind behinderte Menschen und ihre Organisationen in den Gesamtprozess kontinuierlich einzubeziehen.

2. Behinderte Menschen benötigen umfassenden Schutz vor Diskriminierung. Die in der BRK geforderten "angemessenen Vorkehrungen" müssen im deutschen Antidiskriminierungsrecht verankert werden, damit behinderte Menschen gleichberechtigt Zugang zu Gütern und Dienstleistungen erhalten. Darüber hinaus muss darauf hingewirkt werden, dass Menschen mit Behinderungen die ihnen zustehenden Menschenrechte in gleicher Weise wahrnehmen können wie nichtbehinderte Menschen. Insoweit bedarf es der Überprüfung gesetzlicher Regelungen im Bereich des Betreuungsrechts, aber auch der Geschäfts- und Deliktsfähigkeit.

3. Die Verwirklichung inklusiver Bildung gemäß der BRK erfordert umfassende Veränderungen im deutschen Bildungssystem. Nirgends in Europa werden mehr Kinder mit Behinderungen auf Sonderschulen verwiesen. Angesichts der Integrationsquote von nur 18,3 Prozent sind Bund und Länder aufgefordert, nunmehr zeitnah und umfassend die erforderlichen schul- und bildungspolitischen Maßnahmen einzuleiten. Das "recht" auf Regelschule" für behinderte Kinder muss in allen Landesschulgesetzen vorbehaltlos verankert und in der Praxis verwirklicht werden. Der DBR fordert eine Qualitätsdebatte um gute inklusive Bildung. Um bestmögliche Bildungsinhalte für behinderte Kinder sicherzustellen, sind sonderpädagogische Förderung, Schulassistenz und angemessene Vorkehrungen im Einzelfall zu gewährleisten.

4. Der DBR fordert, den Zugang für behinderte Menschen zu qualifizierter Ausbildung und Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu gewährleisten. Angesichts eines Anteils von nur 0,6 Prozent schwerbehinderter Auszubildender in den Unternehmen bedarf es durchgreifender Anstrengungen der privaten und öffentlichen Arbeitgeber, um die betriebliche bzw. betriebsnahe Ausbildung behinderter Menschen zu verbessern. Die Angebote der Berufsberatung und Berufsorientierung müssen optimiert werden und bereits frühzeitig, schon während der Schule, zur Verfügung stehen.

5. Der DBR fordert eine aktive Arbeitsmarktpolitik, um die anhaltend hohe, überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzubauen. Die Arbeitsmarktpolitischen Instrumente und gesetzlichen Förderleistungen müssen erhalten und offensiv genutzt werden, um behinderten Menschen eine qualifizierte und entsprechend bezahlte Beschäftigung zu ermöglichen. Die flächendeckende Einrichtung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM), auch in kleineren und mittleren Unternehmen, sowie gesetzlich verpflichtende betriebliche Integrationsvereinbarungen helfen, Arbeitsplätze für chronisch kranke und behinderte Menschen zu schaffen, zu erhalten und zu sichern. Um dem entgegenzuwirken, dass schwerbehinderte Menschen überdurchschnittlich lange arbeitslos sind, müssen qualifizierte Betreuungsangebote für sie auch im Rechtskreis des SGB II aufgebaut werden.

6. Mensche mit chronischen Krankheiten und Behinderungen sind in besonderer Weise auf eine hochwertige gesundheitliche Versorgung angewiesen und besonders nachteilig von einseitigen Belastungen der Versicherten (Zuzahlungen, Praxisgebühr etc.) betroffen. Der DBR wendet sich entschieden gegen die weitere Privatisierung gesundheitlicher Risiken durch die Einführung der Kopfpauschale und die Ausweitung von Wahl- und Kostenerstattungstarifen. Medizinisch notwendige Leistungen, einschließlich Prävention und Rehabilitation, müssen insbesondere für behinderte und chronisch kranke Menschen uneingeschränkt gewährleistet werden. Einschnitte in den einheitlichen Leistungskatalog darf es nicht geben.

7. Qualifizierte Pflege und Assistenz sind wichtige Voraussetzungen, um Selbstbestimmung und Teilhabe für behinderte Menschen zu gewährleisten. Der DBR fordert die Umsetzung des teilhabeorientierten Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Die Herausforderungen, die sich – auch in einer älter werdenden Gesellschaft – stellen, müssen solidarisch gelöst werden; eine zunehmende Privatisierung in der Pflegeversicherung hingegen wirkt zu lasten behinderter Menschen und wird vom DBR nachdrücklich abgelehnt.

8. Barrierefreiheit als Grundvoraussetzung für die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen muss stärker als bisher als Querschnittsthema angegangen und zum "Mainstream" werden. Hierzu braucht es zum einen normativ verbindliche Regelungen, die Barrierefreiheit fordern bzw. unterstützen (Barrierefreiheit als Zulassungskriterium, im Vergaberecht etc.). Zum anderen müssen Standards zur Barrierefreiheit fortentwickelt und rechtlich verankert werden; der DBR fordert nachdrücklich, die Novellierung der Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik endlich zu beschließen.

9. Behinderte Frauen und Männer sowie Kinder und Jugendliche sind in besonderer Weise gefährdet, Opfer von Gewalt, auch sexueller Gewalt, zu werden. Um dem entgegen zu wirken, müssen umfassende, barrierefreie Informations- Beratungs- und Unterstützungsangebote für Mensche mit Behinderungen bereitgestellt werden. Insbesondere in Einrichtungen bedarf es verbindlicher Präventions- und Interventionspläne zum Umgang mit Gewalt. Ein Rechtsanspruch auf gleichgeschlechtliche Pflegekräfte ist gesetzlich zu verankern.

10. Die Reform der Eingliederungshilfe muss zu einem MEHR an Selbstbestimmung und teilhabe für behinderte Menschen führen. Der DBR fordert, das Recht der Eingliederungshilfe zu einem einkommens- und vermögensunabhängigen Leistungsgesetz weiterzuentwickeln, mit dem individuell bedarfsdeckende Leistungen gewährleistet werden. Eine Reform nach "Rotstift-Kassenlage" darf es nicht geben. Menschen mit Behinderung haben das Recht, ihren Wohnort und die Wohnform selbst zu wählen. Um dieses Recht zu gewährleisten, fordert der DBR die Stärkung ambulanter Wohnformen und die Entwicklung sozialräumlicher Unterstützungsangebote in der Gemeinde. Zudem sind Elternassistenz und begleitete Elternschaft ausdrücklich als Teilhabeleistung gesetzlich zu verankern.

Diese Forderungen haben die im Deutschen Behindertenrat zusammenarbeitenden Verbände im Hinblick auf die öffentliche Veranstaltung des Deutschen Behindertenrates "Inklusion mein Menschenrecht" am 3. Dezember 2010 in Berlin verabschiedet.

Berlin, den 2. Dezember 2010


SPRECHERRAT UND
ARBEITSAUSSCHUSS des DBR

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 DBR-Forderungen 2010 (115 KB)



Die kompletten Forderungen des DBR:

 NAP Inhaltsforderungen Schlussfassung 18-5-2010 barrierefrei (574 KB)
Forderungen des Deutschen Behindertenrates für einen Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention

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