Positionspapier "Rentenpolitik im Interesse behinderter Menschen gestalten"

Rentenpolitische Diskussionen müssen die spezifischen Belange von Menschen mit Behinderungen stärker in den Blick rücken. Der Deutsche Behindertenrat (DBR) – als Aktionsbündnis von über 140 Organisationen behinderter und chronisch kranker Menschen, das über 2,5 Mio. Betroffene in Deutschland repräsentiert – möchte mit dem vorliegenden Positionspapier einen Impuls hierzu leisten. Es ist notwendig, die Interessen der fast 13 Mio. Menschen mit Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen auch in der Rentenpolitik konsequent zu berücksichtigen.

1. "Reha vor Rente" - Zugang zur Rehabilitation verbessern
Menschen mit (drohenden) Behinderungen brauchen schnellen Zugang zu qualitativ hochwertigen Leistungen der Rehabilitation. Denn Rehabilitation ist Voraussetzung für Teilhabe. Im Rechtskreis des SGB II ist es besonders schwer, Rehabilitationsleistungen zu erhalten. Da die Mehrheit der schwerbehinderten Arbeitslosen ALG II bezieht, sind sie überdurchschnittlich von diesen Defiziten betroffen, haben jedoch oft erhebliche Bedarfe. Ebenso ist für Werkstattbeschäftigte der Zugang zu Angeboten der Rehabilitation oft erschwert. Frauen mit Behinderungen mit ihren besonderen Bedarfen müssen noch stärker in den Blick genommen werden. Nicht zuletzt sind Rehabilitationsangebote nicht konsequent barrierefrei, so dass bestimmte Gruppen, z.B. sinnesbehinderte Menschen, diese nur eingeschränkt nutzen können.
Der DBR fordert, den Zugang zur Rehabilitation deutlich zu verbessern. Die Bundesagentur für Arbeit muss über Leistungen der Rehabilitation und Teilhabe entscheiden können, auch wenn die Betroffenen ALG II beziehen. Solange dies nicht der Fall ist, sind zumindest in den Jobcentern – gesetzlich verpflichtend – besondere Stellen zur Beratung und Vermittlung behinderter Menschen einzurichten und feste Reha-Budgets vorzusehen. Die Zusammenarbeit der Reha-Träger, unter Einbeziehung von Integrationsämtern, Jobcentern und Pflegekassen, muss optimiert und Schnittstellen müssen im Interesse der Betroffenen abgebaut werden; insbesondere der Übergang zwischen medizinischer und beruflicher Rehabilitation ist zu verbessern. Zugleich sind Reha-Angebote, auch in Berufsbildungs- und Berufsförderungswerken, konsequent barrierefrei zu gestalten. Die Möglichkeiten betrieblicher Ausbildung und Umschulung müssen erweitert und die Zusammenarbeit der Berufsbildungs- und Berufsförderungswerke mit den Betrieben muss intensiviert werden. Durch verstärkte Anstrengungen in der Prävention, dem Arbeitsschutz und der Rehabilitation sollten Erwerbsminderungsrenten in weit größerem Umfang als bisher verhindert werden. Damit dies gelingt, fordert der DBR insbesondere die im SGB VI vorgesehenen Deckelungsregelungen zum Reha-Budget abzuschaffen. Zugleich sollten Rentenversicherung und Jobcenter innovative neue Wege zur frühzeitigen Rehabilitation ausprobieren und dafür das Bundesprogramm Reha-Pro offensiv nutzen.

2. Erwerbsphase muss auskömmliche Rente ermöglichen
Menschen mit Behinderungen haben schlechtere Chancen auf eine auskömmliche Rente im Alter, denn im Arbeitsleben sind sie oft benachteiligt. Die Arbeitslosenquote bei schwerbehinderten Menschen lag 2015 mit 13,4
Um Altersarmut bei Menschen mit Behinderungen zu vermeiden und eine auskömmliche Rente im Alter zu ermöglichen, muss deshalb an den Ursachen angesetzt und gegengesteuert werden. Es braucht eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die mehr beitragspflichtige Beschäftigung für behinderte Menschen ermöglicht. Auch ein sozialer Arbeitsmarkt kann hier wichtige Impulse geben. Prekäre Arbeitsverhältnisse sind zurückzudrängen. Zudem sind für ALG-II-Berechtigte verpflichtend Rentenbeiträge zu zahlen – dies käme auch schwerbehinderten Langzeitarbeitslosen zugute. Das Ziel muss sein, Lücken in den Erwerbsbiografien zuschließen und durch Arbeit zu fairen Konditionen für das Alter vorsorgen zu können. Dies betont der DBR gerade auch im Interesse von Menschen mit Behinderungen.

3. Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten abschaffen
Eine Rente wegen Erwerbsminderung ist für 30
Menschen mit Behinderungen und anderen Beeinträchtigungen sind daher von Abschlägen, um die Erwerbsminderungsrenten nach wie vor gekürzt werden, in besonders nachteiliger Weise betroffen. Die Abschläge von bis zu 10,8
Die geforderten Änderungen im Bereich Erwerbsminderungsrenten wären wichtige Schritte, um auch der Altersarmut dieser Menschen entgegenzuwirken und den Anstieg der Beziehenden von Grundsicherung wegen voller Erwerbsminderung abzumildern.

4. Altersrente für schwerbehinderte Menschen nicht antasten
Für schwerbehinderte Menschen ist es aufgrund ihrer gesundheitlichen und behinderungsbedingten Einschränkungen oft mit besonderen Erschwernissen verbunden, ihren beruflichen Pflichten in gleicher Weise nachzukommen wie nicht behinderte Menschen. Deshalb sieht das Rentenrecht zu Recht vor, dass diese Menschen ihre Altersrente bereits zwei Jahre früher beziehen können als Menschen ohne Schwerbehinderung; sie können die Altersrente bereits mit 63 Jahren abschlagsfrei erhalten, allerdings steigt auch bei ihnen das Renteneintrittsalter schrittweise an – für Versicherte ab Jahrgang 1964 gilt dann die Regelaltersgrenze von 65 Jahren.
Der DBR betont die dringende Notwendigkeit, die Altersrente für schwerbehinderte Menschen als Nachteilsausgleich nicht in Frage zu stellen, sondern fortzuschreiben. Zudem bewertet der DBR die schrittweise Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahren kritisch, da es viele schwerbehinderte Menschen kaum schaffen, bis zu diesem Alter erwerbstätig zu bleiben. Insoweit sieht der DBR die große Gefahr, dass die Anhebung für viele Betroffene real Rentenkürzungen bedeutet, was zu kritisieren ist.

5. Rentenrechtliche Nachteilsausgleiche für Werkstattbeschäftigte sichern
Die rentenrechtlichen Nachteilsausgleiche für Werkstattbeschäftigte dürfen nicht in Frage gestellt werden. Werkstattbeschäftigte verdienen im Durchschnitt monatlich gerade einmal 180 €. Angesichts dieses geringen Lohnes ist es unverzichtbar, dass ihre rentenrechtlichen Nachteilsausgleiche erhalten bleiben und keine Absenkung des Beitragsniveaus erfolgt. Zu Recht werden die Entgelte von Werkstattbeschäftigten in der Rentenversicherung so aufgestockt, als hätten diese fast 80 Prozent des durchschnittlichen Verdienstes aller Versicherten erhalten.
Nach 20 Jahren in der Werkstatt können die Betroffenen eine Erwerbsminderungsrente beanspruchen. Diese Regelung darf nicht angetastet werden. Zudem muss die Aufstockung auch zukünftig aus Bundesmitteln geleistet werden.

6. Erschwerten Zugang zur privaten Altersvorsorge nicht ignorieren – deshalb gesetzliche Rentenversicherung stärken
Für Menschen mit Behinderungen ist der Zugang zur privaten Altersvorsorge oft mit besonderen Hürden verbunden. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz lässt es zu, dass Versicherungen aus versicherungsmathematischen Gründen von Menschen mit Behinderungen höhere Prämien verlangen können. In der Praxis erleben viele Menschen mit Behinderungen, dass der Zugang zu privaten Versicherungen (z.B.: für Berufsunfähigkeitsrenten) mit höheren Hürden verbunden ist oder sogar ganz verschlossen bleibt. Nach einer Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gaben 23
Der DBR fordert daher im Interesse behinderter Menschen die Stärkung der gesetzlichen Rente. Sie muss den Lebensstandard im Alter auch ohne zusätzliche Leistungen der betrieblichen und privaten Altersvorsorge absichern und ein Abrutschen in die Grundsicherung verhindern. Um dies zu erreichen, muss die Anhebung des Rentenniveaus auf über 50 Prozent das Ziel bleiben.
Der DBR betont: Eine starke gesetzliche Rentenversicherung ist Ausdruck einer solidarischen und verlässlichen Alterssicherungspolitik und liegt daher ganz zentral auch im Interesse von Menschen mit Behinderungen und anderen Beeinträchtigungen.

Berlin, den 20. Juli 2018

Diese Forderungen als PDF herunterladen:

 Forderungen_DBR_Rente 2018 (532 KB)


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