Sozialverband VdK übernimmt Vorsitz im Sprecherrat des DBR


Foto: Der Berliner Bärensaal von oben fotografiert
Der DBR feierte den Internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen auch in diesem Jahr im Berliner Bärensaal. Foto: Eckhard Herfet
Internationaler Tag der Menschen mit Behinderungen in Berlin - UN-Konvention muss in 2008 umgesetzt werden

"Behindertenpolitik verträgt keinen Stillstand", stellte der neue Vorsitzende des Sprecherrats des Deutschen Behindertenrats (DBR), und Präsident des Sozialverbands VdK Deutschland, Walter Hirrlinger, am 3. Dezember in Berlin klar.

Zum internationalen Tag der Menschen mit Behinderungen waren zahlreiche Gäste zur Festveranstaltung "Gleichstellung – Teilhabe – Inklusion – Berufliche Bildung" gekommen. Turnusgemäß ging der DBR-Vorsitz für ein Jahr an den Sozialverband VdK Deutschland.

Sabine Schwarz von der Hauptschwerbehindertenvertretung des Landes Berlin begrüßte die Gäste im Berliner Bärensaal. In der Senatsverwaltung hätten 6,6 Prozent der Mitarbeiter eine Behinderung. Schwerpunkt ihrer Arbeit sei es, die bestehenden Barrieren bei der Ausbildung schwerbehinderter Jugendlicher abzubauen.

In der ersten Talkrunde des Vormittags ging es um nationale und internationale Behindertenpolitik. Erika Huxhold vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der Vorsitzende der Initiative Selbstbestimmt Leben (ISL), Horst Frehe, sowie Jens Kaffenberger vom Sozialverband VdK Deutschland, Sabine Häfner vom Sozialverband Deutschland (SoVD) und Ulrich Hellmann von der Bundesvereinigung Lebenshilfe berichteten über der aktuellen Stand der UN-Konvention und die Europäische Antidiskriminierungsrichtlinie:

Laut Huxhold stehe einer Unterzeichnung der UN-Konvention nichts im Wege, sobald der Text ins Deutsche übersetzt sei. Doch genau dort läge aus Sicht von Frehe das Problem. "Bei Übersetzungen anderer Konventionen sind in der Vergangenheit erhebliche Fehler passiert. Aus diesem Grund müssen diesmal die Behindertenverbände deutlich stärker und frühzeitig in den Prozess eingebunden werden."


Foto: Gesprächsrunde mit Horst Frehe
Horst Frehe forderte, die Verbände rechtzeitig in die Übersetzung der UN-Konvention einzubeziehen. Foto: Eckhard Herfet
Ulrich Hellmann forderte, dass der Konventionstext auch in leichter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten erscheinen solle. Sabine Häfner hob lobend hervor, dass diese Konvention die erste sei, die eine Geschlechterperspektive enthalte. In Artikel 6 stehe ausdrücklich, dass die Belange behinderter Frauen auf sämtliche Bereiche und Artikel der Konvention anzuwenden seien. "Damit ist ein umfassender Schutz gewährleistet und deswegen kann diese Konvention aus meiner Sicht Vorbild für weitere Konventionen sein", so Häfner.

Die geplante Europäische Antidiskriminierungsrichtlinie muss aus Sicht von Jens Kaffenberger Bildungsangebote, Güter und Dienstleistungen sowie Barrierefreiheit im Verkehr, Bauwesen sowie im Internet für Menschen mit Behinderungen grenzüberschreitend gewährleisten. Die Europäische Kommission habe vor Kurzem angekündigt, in 2008 einen Entwurf für die Richtlinie vorzulegen.

"Der erste Schritt ist also gemacht. Auch das Europäische Parlament ist offen für die Richtlinie. Jetzt gilt es nur noch, die EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, von einer zügigen Umsetzung dieser Richtlinie zu überzeugen", meinte Kaffenberger.

An der zweiten Talkrunde nahmen neben Erika Huxhold und Horst Frehe zwei neue Experten teil. Martina Puschke vom Weibernetzwerk sowie Christoph Nachtigäller von der BAG Selbsthilfe sprachen über die Situation für Menschen mit Behinderungen auf dem Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Angesichts der anziehenden Konjunktur und der steigenden Beschäftigungsquote in Deutschland vermuteten viele, dass auch Menschen mit Behinderungen vom Aufschwung profitieren.


Foto: Diskussion der Teilnehmer
Martina Puschke vom Weibernetzwerk (Zweite von rechts) sowie Christoph Nachtigäller von der BAG Selbsthilfe (rechts) diskutierten mit Horst Frehe und Erika Huxhold die Situation für Menschen mit Behinderungen auf dem Weg in den allgemeinen Arbeitsmarkt. Foto: Eckhard Herfet
Laut Frehe greifen jedoch die Instrumente der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Stellenvermittlung bei Menschen mit Behinderungen nur mäßig bis gar nicht. "Diese Menschen brauchen intensive Beratung und besondere Maßnahmen. Sie sind eben nicht mal eben schnell vermittelbar." Die Agenturen müssten endlich bessere Vermittlungsprogramme auf den Tisch legen. Nur dann könne sich etwas ändern.

In den vergangenen Jahren würde die BA auch deutlich weniger Eingliederungszuschüsse Berufsbildungs- sowie Rehamaßnahmen gewähren. "Die Berufsbildung- und Berufsförderungswerke müssen sich umstellen und nicht nur institutionelle, sondern auch ambulante, maßgeschneiderte Programme für Menschen mit Behinderungen anbieten", forderte Horst Frehe.

Auch die Arbeitslosenzahlen bei behinderten Frauen seien nicht zurückgegangen, sagte Martina Puschke. "Vom angeblichen Aufschwung konnten Frauen mit einer Behinderungen noch nicht profitieren, auch wenn das in der Öffentlichkeit angesichts der positiven Zahlen oft so wahrgenommen wird."

Christopf Nachtigäller stimmte zu, dass die Maßnahmen allgemeinen zur Vermittlung auf dem ersten Arbeitmarkt für behinderte Menschen längst nicht ausreichten. "Es gibt über 800 Sonderausbildungsregelungen Menschen mit Behinderungen. Wo bleibt dabei die Transparenz? Wer soll da durchblicken?", fragte Nachtigäller. Er forderte, in Zukunft auf Sondermaßnahmen zu verzichten und Menschen mit Behinderungen sofort in den ersten Arbeitsmarkt zu vermitteln.

Am Nachmittag stand der Begriff der "inklusiven Bildung" im Vordergrund. Damit ist die gemeinsame Bildung von Kindern mit und ohne Behinderungen gemeint. Die Behindertenbeauftragte des Bundes, Karin Evers-Meyer, prangerte an, dass Deutschland im internationalen Vergleich Schlusslicht bei der integrativen Bildung sei. Sie forderte "eine Schule für alle". "Es muss endlich Schluss sein mit Ausgrenzen und Aussondern", so Evers-Meyer. Nur zwölf Prozent der Kinder mit einer Behinderung gingen mit Kindern ohne Behinderung zur Schule. Dies sei ein optimaler Nährboden für manifestierte Diskriminierungen. "Wenn es schon in Schule und Ausbildung keine Berührungspunkte gibt, wie sollen dann Arbeitgeber dafür sensibilisiert sein, Menschen mit einem Handikap einzustellen?"


VdK-Präsident und DBR-Sprecherrats-Vorsitzender Walter Hirrlinger am Rednerpult
VdK-Präsident Walter Hirrlinger stellte die Forderungen des DBR für 2008 vor. Foto: Eckhard Herfet
Dr. Peter Hübner, Referatsleiter der Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung des Landes Berlin, gab zu Bedenken, dass das Sonderschulwesen ein etabliertes System sei, das schwer zu ändern sei. "Insgesamt weist das Schulsystem in Deutschland erhebliche Mängel auf. Wir investieren viel zu wenig in Bildung." In Berlin könnten sich Eltern für einen gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung entscheiden. Doch häufig fehlten die Mittel, um genügend Lehrer zu Lehrstunden zu bekommen.

Sybille Hausmanns von der Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeinsam Leben – gemeinsam lernen sprach über die "Inklusion als Kinderrecht". Heute gehe man weg von der "integrativen" über zur "inklusiven Bildung". Wenn alle Kinder gemeinsam an einer Schule lernten, profitieren alle Seiten davon. "Kinder, die in ihrer Klasse mit behinderten Mitschülern lernen, sind in der Regel viel offener und im Denken vielschichtiger als andere", so Hausmanns.

In der sich anschließenden Expertenrunde sprachen Sybille Hausmanns, Andreas Bethke vom Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverband, Wolfgang Simons von den Winterhuder Werkstätten sowie Michael Gerr von der ISL darüber, ob und wie "inklusive Bildung" in der Praxis funktioniert.

Wolfgang Simons, der selbst in einer Behindertenwerkstatt arbeitet, plädierte dafür, diese in Bildungswerkstätten umzubauen. Nur so könne den Betroffenen mehr Lern- und Ausbildungsangebote gemacht werden. Es sei ungerechtfertigt, wenn nur die "Schwachen" in den Werkstätten verblieben und die "Starken" gefördert würden.


Foto: Horst Frehe übergibt symbolisch den DBR-Vorsitz an Walter Hirrlinger
Staffelübergabe: Horst Frehe (rechts) übergibt Walter Hirrlinger symbolisch den Vorsitz und das Sekretariat des DBR für das kommende Jahr. Foto: Eckhard Herfet
Michael Gerr wies darauf hin, dass es schon seit langem fertige Konzepte für eine "inklusive Schule" gebe, doch vor ihrer Umsetzung sei eine gesellschaftliche Debatte über einen generellen Systemwechsel nötig. Sybille Hausmanns bemängelte, dass bisher keine wissenschaftliche Untersuchung zur tatsächlichen Qualität von Sonderschulen vorliege. "Die Frage ist doch, ob Sonderschulen tatsächlich fit fürs Leben danach machen?", warf Hausmanns ein. Andreas Bethke plädierte dafür, neben einer "Schule für alle" auch in Zukunft besondere Förderschulen anzubieten. "Das Optimale Maß von inklusiver Schulbildung muss zuerst noch ausgehandelt werden."

VdK-Präsident Walter Hirrlinger stellte die Forderungen des DBR für das Jahr 2008 vor. "Die UN-Konvention wird das Leitmotiv für die behindertenpolitischen Forderungen des DBR sein. Im Jahr 2008 muss Deutschland die UN-Konvention möglichst zügig ratifizieren", forderte Hirrlinger im Berliner Bärensaal. Nur so bestehe die Chance, einen deutschen Vertreter in den Überwachungsausschuss zu entsenden. "Die UN-Konvention zeigt, wie viel noch zu tun ist. An dieser Aufgabe muss sich die Politik messen lassen! Deshalb meine Devise: Packen wir´s an!", appellierte Hirrlinger.

"2008 muss das Jahr werden, in dem unseren Forderungen konkrete Schritte folgen", bekräftigte er. Dies beträfe vor allem mehr Teilhabe an Bildung und im Arbeitsleben für Menschen mit Behinderungen, Barrierefreiheit im Bau- und Verkehrswesen, ein solidarisches Gesundheitssystem sowie eine verlässliche Ausstattung ambulanter Dienstleistungen und Persönlicher Assistenz.

Ein wichtiges Anliegen sei dem DBR auch die Reform der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderungen. Im Jahr 2006 seien 10,5 Milliarden Euro Sozialhilfe dafür ausgegeben worden. "Viele Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sind nach wie vor abhängig vom Einkommen und Vermögen. Das muss sich endlich ändern", betonte Hirrlinger. Der DBR fordert, die Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe herauszulösen und zu einem eigenen Leistungsgesetz weiterzuentwickeln.

Zum Abschluss der Veranstaltung war es dann soweit: VdK-Präsident Hirrlinger erhielt von dem Vorsitzende der ISL, Horst Frehe, den goldenen Staffelstab überreicht. Bis zum 3. Dezember 2008 wird der Sozialverband VdK Deutschland das Sekretariat des DBR übernehmen. "Wir werden der Politik klar und deutlich zeigen, dass es Menschen mit Behinderungen gibt und dafür sorgen, das ihre Anliegen nicht vergessen werden", kündigte der neue DBR-Vorsitzende Hirrlinger an. (Tanja Ergin)

Lesen Sie mehr zum Thema:
-Behindertenpolitische Forderungen 2008



Weitere Impressionen von der Veranstaltung:

Foto: Die Expertenrunde diskutiert
Expertenrunde zur "inklusiven Bildung": Sybille Hausmanns, Projektgruppe der Bundesarbeitsgemeinschaft Gemeisnam Leben – gemeinsam lernen, Andreas Bethke vom Deutschen Blinden- und Sehbe-hindertenverband, Moderatorin Dr. Sigrid Arnade, Wolfgang Simons von den Winterhuder Werkstätten mit Assistenz, sowie Michael Gerr von der ISL (von links). Foto: Eckhard Herfet


Foto: Talkrunde zur UN-Konvention
Talkrunde zur UN-Konvention und Europäischen Antidiskriminierungs-richtlinie: Moderator Hans-Günter Heiden, Vorsitzender der Initiative Selbstbestimmt Leben (ISL), Horst Frehe, Erika Huxhold vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Jens Kaffenberger vom Sozialverband VdK Deutschland, Moderatorin Dr. Sigrid Arnade, Sabine Häfner vom Sozialverband Deutschland (SoVD) und Ulrich Hellmann von der Bundesvereinigung Lebenshilfe (von links). Foto: Eckhard Herfet


Foto: Sabine Schwarz am Rednerpult
Sabine Schwarz von der Hauptschwerbehindertenvertretung des Landes Berlin begrüßte die Gäste im Bärensaal. Foto: Eckhard Herfet

© 2021 Deutscher Behindertenrat